: Begehrte Früchte des Fleißes
Trotz der klaren 0:3-Niederlage gegen Bayern München fällt die vorläufige Bilanz des VfB Stuttgart ausgesprochen positiv aus. Die Zukunft des „roten Wunders“ scheint dennoch ungewiss
aus Stuttgart PETER-MICHAEL PETSCH
Der VfB Stuttgart hatte gerade mit 0:3 gegen Bayern München verloren, und Trainer Felix Magath sprach trotzdem von einem Schritt nach vorne. „In der letzten Saison waren wir gegen die Münchner chancenlos. Jetzt konnten wir wenigstens mithalten.“ Vielleicht trug auch die Vorweihnachtszeit zu diesem milden Urteil Magaths über die Leistung seiner Schützlinge bei. Noch zwei Spiele sind für sein Team in diesem Jahr zu absolvieren, bevor es in die Winterpause bis zum 25. Januar geht. Da kann man auch beim VfB Stuttgart kurz innehalten und auf das bisher Geleistete zurückblicken.
Diese Zwischenbilanz kann sich tatsächlich sehen lassen. Die „jungen Wilden“ um Trainer Felix Magath und Seniorchef Krassimir Balakow stehen einen Spieltag vor der Winterpause auf dem fünften Tabellenrang. Ein Platz, der zur Teilnahme am Uefa-Cup berechtigten würde, wäre jetzt schon Saisonende – ganz ohne den zuletzt erfolgreich absolvierten UI-Cup-Umweg. Die Saison ist aber noch nicht zu Ende und der Optimismus am Neckar trotz der ersten Heimniederlage dieser Spielzeit fast grenzenlos. Allmählich bemerken sogar die Fußballfreunde in der Region, was Experten schon lange sahen: Im Gottlieb-Daimler-Stadion wächst Großes heran.
Nicht mehr die dubiose Praxis der früheren Vereinsführung beherrscht die Diskussion in den Medien und an den Stammtischen, sondern das Wort vom „roten Wunder“ macht die Runde. Dieses Mirakel aus dem Schwabenländle bekam Bayerns Starensemble aber nur über knapp 30 Minuten zu spüren. Mitten in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit holte Alexander Zicklers Kopfballtor zum 1:0 die Stuttgarter auf den harten Boden der Realität zurück. Vier Minuten später sorgte Roque Santa Cruz nach einem weiteren Abwehrfehler schon für die Vorentscheidung. Danach begegneten die Gäste schwäbischem Hurra-Fußball mit Ballsicherheit, Cleverness, einem Oliver Kahn, der sich wieder seiner WM-Form nähert, und einem weiteren Konter zum 3:0 durch Santa Cruz. So gewannen die Schwaben außer der Eckballstatistik (10:1) auch die Erfahrung, dass es noch viel zu lernen gibt am Neckar.
Hieß es früher noch frei nach Thomas Strunz, das Beste an Stuttgart sei die Autobahn nach München, so wird die Schwabenmetropole plötzlich für jeden Spielervermittler interessant. Sie wittern am Neckar fette Beute und würden die Früchte des Fleißes in der Nachwuchsarbeit gerne auf dem nationalen und internationalen Markt verhökern. Genau hier liegt der Knackpunkt des roten Wunders: Der VfB Stuttgart befindet sich mitten im Umbruch und hat noch jede Menge Erbschulden (derzeit zirka 13 Millionen Euro), die den Gestaltungsspielraum für das Management einschränken. An diesem Management, genauer gesagt an der Person von Rolf Rüssmann, scheiden sich am Neckar im Moment die Geister. Denn der Westfale, der in die Schwabenmetropole zum Ausmisten kam, wird immer mehr zum Buhmann. Zunächst war er es, der den Transfer von Fernando Meira für 7,5 Millionen Euro durchboxte. Danach rief er seine Profis zum Gehaltsverzicht auf und strich sogar die Siegprämien. Erst für das geplante Weiterkommen im Uefa-Pokal gegen Brügge am Donnerstag soll es jetzt eine Prämie geben.
Über die zum Saisonende auslaufenden Verträge (Thomas Ernst, Jochen Seitz, Silvio Meissner, Sean Dundee, Viorel Ganea, Zvonimir Soldo) gibt es noch keine unterschriebenen Vereinbarungen – aus finanziellen Gründen, heißt es von Vereinsseite. Sicher ist lediglich der Vertrag von Krassimir Balakow. Dieser gilt praktisch auf Lebenszeit – wenigstens solange er Lust verspürt, für Stuttgart zu kicken und diese Lust mit einem ärztlichen Attest seiner Sportfähigkeit untermauern kann. Und mit der Lust ist das ja bekanntlich so eine Sache. Bei einem Garantiegehalt von 3 Millionen Euro pro Jahr kann sie selbst bei einem 36-Jährigen leicht aufkommen.
Aus Dortmund, Leverkusen, Berlin und München gibt es derweil viel Lob für die Stuttgarter Nachwuchsarbeit. Wechselgerüchte, vor allem um Senkrechtstarter Kevin Kuranyi, machen die Runde. Kein gutes Zeichen. Doch nur, wenn der Verein es schafft, seine „jungen Wilden“ bei der Stange zu halten und ihnen neben den sportlichen auch finanziell langfristige Perspektiven zu bieten, besteht die Chance, dass in Stuttgart weiterhin Großes wächst. Und aus dem roten nicht plötzlich ein blaues Wunder wird.
VfB Stuttgart: Hildebrand - Hinkel, Meira, Bordon (71. Schneider), Gerber (46. Wenzel) - Tiffert (63. Ganea), Meißner - Hleb, Balakow, Amanatidis - Kuranyi Bayern München: Kahn - Hargreaves, Robert Kovac, Linke, Lizarazu - Nico Kovac (81. Schweinsteiger), Ballack, Jeremies (88. Fink), Zickler (77. Ze Roberto) - Elber, Santa CruzZuschauer: 53.700; Tore: 0:1 Zickler (29.), 0:2 Santa Cruz (33.), 0:3 Santa Cruz (67.)
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